THOUGHTS

28 1/2 Jahre

Wie lange es dauert, sich von einem Lebensentwurf zu verabschieden.

Ein traditioneller Lebensentwurf: Mann und Frau, heiraten, werden zu Mama und Papa von zwei Kindern. Wie vielen Menschen in meiner Generation wurde dieser Lebensentwurf mitgegeben? Und wie lange dauert es, sich davon zu verabschieden? Und anschließend versöhnt und entschlossen weiter zu machen?

Manche brauchen dafür nicht lange, können schneller loslassen und neue Perspektiven finden. Andere schaffen es nie, fühlen sich vielleicht ein Leben lang in ihren Idealen gefangen. Und bei mir?

Von Vornherein wurde mir das mit dem Heiraten und dem Zusammenleben mit Mama und Papa nicht wirklich vorgelebt. Auf Großelternebene war es so, allerdings habe ich dies nicht bewusst wahrgenommen, da beide Opas früh verstorben sind. So habe ich meine Omas "nur" alleine erlebt. Und die Verwandtschaft danach? Mütterlicherseits: alle geschieden. Väterlicherseits: keine traditionellen Familienentwürfe bekannt. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich neun Jahre alt war. Als ich vor einigen Jahren meiner Therapeutin darüber erzählt habe, wollte sie mir nicht so recht glauben, dass ich dies nicht als einschneidendes Erlebnis abgespeichert habe. Erst einige Monate später - als es um die Trennung vom Vater meines Sohnes ging - hat sie verstanden, dass dies wirklich so ist. Alles eine Sache des "WIE". Wenn sich alle Beteiligten darüber bewusst sind, dass die Partnerschaft beendet ist, die Elternschaft jedoch ein Leben lang anhält, ist ein großer Schritt getan.

Aber ich schweife ab - zu diesem Thema sicher vielleicht an dieser oder anderer Stelle mehr...

Wie sieht es aber mit den zwei Kindern aus? Dies wurde mir tatsächlich bis zu meiner Generation so vorgelebt. Alle hatten/haben zwei Kinder. Und so ist es nicht verwunderlich, dass auch ich mich - seit ich mir bewusst darüber war, dass ich irgendwann Mama sein kann - immer mit zwei Kindern gesehen habe.

Und nun - mit 38 1/2 Jahren - kann ich sagen, dass ich unendlich dankbar bin für meinen einen tollen, gesunden Sohn und ich - man sagt wohl Familienplanung - mit selbiger abgeschlossen habe ... in Frieden.

Ziehen wir mal die Kindheit ab, bleiben also 28 1/2 Jahre, in denen ein Lebensentwurf heranreifte, greifbar und wieder zerstört wird und letztlich verabschiedet werden kann. Ein langer Weg entlang der Meilensteine Freude, Hoffnung, Wut, unendlicher Traurigkeit ... und Erleichterung.

Bilanz ziehen - auf emotionaler Ebene. Ich habe erkannt, wer ich bin und was ich habe, wertschätze dies und bin vor allem eins: dankbar.

Bevor ich dies niederschreibe und veröffentliche, habe ich mit zwei Menschen darüber gesprochen. Mit meiner besten Freundin, die meinen Weg schon lange Jahre kennt. Und mit jemandem, den ich erst weinige Wochen kannte, dem ich mich sehr verbunden fühle. Das darüber sprechen Können hat mir nochmals die Erleichterung gezeigt. Die Worte auszusprechen und nicht nur in meinem Kopf herumschwirren zu spüren, stellt einen gewaltigen Unterschied dar. Ich bin erleichtert über den Weggang der Schwere. Genauso wie es für Gedanken die richtige Zeit und die richtigen Menschen gibt, gibt es das für Worte eben auch.

Nun könnte ich mich fragen: "Was mache ich denn stattdessen?"

Jedoch spüre ich, dass dies nicht die richtige Frage für mich ist. Es ist schon so viel da, dem ich Aufmerksamkeit schenken möchte - schon immer wollte, jedoch nicht konnte, weil mich etwas - ein idealistischer Lebensentwurf vielleicht?! - ausgebremst hat ... 28 1/2 Jahre.